Grüne für Stärkung des ländlichen Raums

Drei von vier Sachsen-Anhaltern leben außerhalb der Städte Halle, Magdeburg und Dessau-Roßlau. Um eine diesen drei Städten vergleichbare Bevölkerung zu repräsentieren, müssten über 70 Bürgermeister der nächstgrößeren Städte ihre Interessen koordinieren.

Dass Dörfer und Kleinstädte keine wirksame Vertretung in der Landespolitik haben, zeigt sich u.a. an der Zuweisung von Ressourcen (Finanzen, Personal, Kompetenzen usw.), der Zentralisierung von Verwaltungen (z.B. Gerichten, Schulen) oder unzureichender Daseinsvorsorge (Öffentlicher Nahverkehr, Gesundheitsversorgung oder Freizeitangebote). Zentralisierungen fördern oft Abwanderung und reduzieren die Attraktivität kleinerer Orte und Städte. Damit verschärft der flächendeckende Abbau von Daseinsvorsorge und Infrastruktur vielerorts den demografischen Wandel „auf dem Land“ und setzt eine sich wechselseitig verschärfende Abwärtsspirale in Gang.

Diese Entwicklung besorgt uns, die Mitglieder des Kreisverbands Saalekreis Bündnis 90/ DIE GRÜNEN, sehr.

Bevölkerungsverluste insbesondere in den westlichen und nördlichen Teilen des Kreisgebiets gefährden die Perspektiven von Menschen und ihren Dörfern sowie die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen und dies gilt genauso in anderen Gegenden Sachsen-Anhalts. Folgen dieser Entwicklung zeigen sich vielfältig: Sinkende Immobilien- und Unternehmenswerte, fehlende Unternehmensnachfolger und Arbeitskräfte vor allem in Handwerk, Gesundheitsversorgung und Landwirtschaft, weniger Sportvereine und spielfähige Mannschaften, überalterte Dörfer und nicht einsatzfähige Feuer- wehren, sind nur einige Beispiele. Als Folge abnehmender Nachfrage steigen die Preise für z.B. Trink- und Abwasser, aber auch für öffentlichen Nahverkehr.

Auf diese Entwicklungen können Kommunalpolitiker immer weniger Einfluss nehmen, und mit reduzierten Gestaltungsmöglichkeiten verliert die Übernahme lokaler Verantwortung an Attraktivität. Als Folge sinkt die Akzeptanz demokratischer Prozesse unseres Gemeinwesens. Glaubwürdige und gelebte kommunale Selbstverwaltung muss eine angemessene Gestaltung des Lebensumfelds der Menschen vor Ort ermöglichen und notwendige Ressourcen bereitstellen.

Das Elend des Mangels lediglich zu verwalten, entwertet kommunale Mandate und lässt enttäuschte Menschen zurück. Keine der bisher vom Land betriebenen Zentralisierungen hat die geplanten Einsparungen erreicht. Vielmehr erfolgten sie zu Lasten der Bevölkerung, die längere Fahrtwege und -zeiten und höhere Fahrtkosten in Kauf nimmt. Die Sicherung von Daseinsvorsorge kann auch darum nicht allein nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen. Menschen vor Ort sind zu befähigen, lokale Lösungen zu finden und umzusetzen. Das erfordert dezentrale und vielfältige Ansätze sowie Ermöglichungsstrukturen.

Kommunalfinanzen werden nach Einwohnerzahl zugeteilt. Das bedeutet, dass von Entvölkerung betroffene Kommunen weniger Mittel erhalten und gleichzeitig attraktiver werden sollen. Damit wird Ungleiches gleichbehandelt. Als Folge dieser Benachteiligung, die einer Vertreibung gleichkommt, wird die Abwanderung junger Menschen in Städte gefördert, die ihnen Lebensperspektiven bieten.

Kein anderes Bundesland ist ähnlich von demographischem Wandel betroffen. Ansätze der Landesregierungen zur Bewältigung oder Linderung damit verbundener Probleme waren in der Vergangenheit unzureichend oder ungeeignet – und sind es immer noch. Erfolgreiche Gegenstrategien zu entwickeln, kann Menschen ermutigen, Sachsen-Anhalt ein positives Image verschaffen und Regionalwirtschaft oder innovative Potenziale (z.B. dezentraler Ver- und Entsorgung, Anwerbung und Integration von Bevölkerung, Formen der Bürgerbeteiligung) entfalten. Ein Umsteuern muss Stärken ländlicher Räume in den Mittelpunkt stellen, wie z.B. Nicht-Anonymität, Nachbarschaftshilfe, Entschleunigung oder Naturbezug.

Wir sind uns bewusst, dass in den nächsten Jahren kein Aufwuchs der Landeshaushalte zu erwarten ist. Gleichzeitig lassen unbewältigte Herausforderungen demografischen Wandels steigende Aufwendungen erwarten. Allein mehr Geld zur Verfügung zu stellen, ist deshalb keine Lösung. Vielmehr sind neue Strukturen der Daseinsvorsorge, der Förderung oder Entwicklung mit der Bevölkerung zu diskutieren und umzusetzen. Denn ob die aktuellen Herausforderungen wie der Mobilitäts-, Agrar- und Energiewende im Sinne des Klimaschutzes gelingen, entscheidet sich vor allem in ländlichen Regionen. Indem lediglich Insellösungen einzelner Ministerien zur Linderung angegangen oder bislang erfolglose Strategien weiterverfolgt werden, entsteht kein erfolgsversprechender Ansatz und droht die dauerhafte Abkoppelung ländlicher Regionen.

Um die demographische Krise des Landes zu lindern, fehlt uns Wissen. Dieses Wissen zu erschließen, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, sie gemeinsam mit den Bürgern Sachsen-Anhalts zu einem ganzheitlichen Konzept zu entwickeln und daraus konkretes Handeln abzuleiten, sehen wir als zentrale Aufgabe Grüner Politik an.

Wir laden Fachleute und Interessierte herzlich ein, solche Ansätze mit uns zu diskutieren.

 

Das komplette Positionspapier samt Erläuterungen gibts hier → Diskussionspapier